Rostock - Die Rostocker Aalschlange am Rathaus

Rostock, Mecklenburg-Vorpommern

Gebrannte Kinder der Stadt Rostock

Die brisante Mischung aus Verherrlichung und Verspottung der Stadtobereren auf Keramiken gab im Jahre 1993 Anlass zu Diskussionen um eine Eulenspiegelei der DDR-Kunst.

Seit 1980 gibt es sie – aus Ton gebrannte „Kinder“ dieser Stadt. Am Eckhaus Breite Straße / Kröpeliner Straße wurden mit der Fertigstellung dieses Neubau-Giebelhauses der Architekten Peter Baumbach/ Erich Kaufmann drei glasierte Keramikplatten zur Stadtgeschichte Rostocks mit Motiven von Menschen aus der Hansestadt montiert.

Im 13. Jahr, Ende Juli 1993, passierte es dann: Mit der Neueinrichtung eines Fast-food-Restaurants im ehemaligen „Café Rostock“ und der geplanten Anbringung von metallenen Baldachinen wurden die drei Historien-Bilder von einer Baufirma abmontiert. Dabei zerbrachen die Keramiken teilweise. Die fünf Fayencemedaillons am Giebel mit den Berufen „Fischer“, „Servierfröken“, „Shipper“, „Hüserbuger“ und „Schippbuger“ blieben unberührt in großer Höhe. Der Bildhauer und Autor aller acht Plastiken, Reinhard Dietrich aus Kneese-Ausbau bei Bad Sülze (Mecklenburg-Vorpommern), wurde hinzugezogen. Die Rostocker denkmalpflegerischen „Urgesteine“ Hans-Otto Möller und Ulrich Hammer brachten sich ein.

Denkmalpflegeamt, Bausenator, Baufirma und Gaststättenbetreiber einigten sich. Die denkmalgeschützten Keramiken wurden originalgetreu wiederhergestellt. Der neue Pächter „Block House“, Verursacher des Zwischenfalls, übernahm die Kosten – der Bildhauer die Arbeit. Beide äußeren Platten wurden geklebt, farblich bearbeitet und glasiert, die mittlere neu angefertigt.

Der eigentliche Streit entbrannte seinerzeit aber um den generellen Umgang mit DDR-Kunst. Zu schnell verschwanden vielen Bürgern liebgewonnene Dinge aus dem Stadtbild, um einer Neuinvestition Platz zu machen. Nicht die erste Keramikplatte mit Fürst Borwin, nicht die zweite Platte mit mittelalterlichen Rostockern, sondern die chronologisch jüngste Darstellung aus DDR-Zeiten erregte das Interesse der Betrachter und der Medien.

Wie entstand nun diese Eulenspiegelei, die ganz sicher als stadtgeschichtliche Episode die Zeiten überdauern dürfte. 1979 bekam der Bildhauer Reinhard Dietrich vom Rat der Stadt Rostock den Auftrag, für das in Bau befindliche Haus Keramiken als Bauschmuck zu schaffen. Nach einem halben Jahr stellte er die kleinen Entwürfe der Stadtverwaltung vor. Sie wurden abgenickt. In Bad Liebenwerda wurden dann die nahezu quadratischen Reliefs von etwa 90 cm Kantenlänge gefertigt. Als die Originale auf der Baustelle in der Kröpeliner Straße ankamen, sah man erstmalig in wahrer Größe die Details. Stadtarchitekt Dr. Ralf Lasch und Stadtbaudirektor Werner Neugebauer trugen dem Künstler die Wünsche der Bedenkenträger vor und baten, zu überlegen, ob nicht die dritte Platte neugestaltet werden könne. Der Künstler lehnte ab.

Was gibt es zu sehen? Im Vordergrund steht im hellen Anzug Oberbürgermeister (OB) Henning Schleiff, daneben der Architekt Peter Baumbach, ein neues Treppengiebelhaus für Evershagen erklärend. Hinter beiden schaut der Erste Sekretär des SED-Kreisleitung Heinz Kochs über die Schultern. Die Züge des Stellvertreters des OB für Inneres, Günter Rehfeld, sitzend neben einem kleinen Geldsack voll blauer Hunderter, wurden nachträglich hineininterpretiert und waren nicht Absicht des Künstlers, wie dieser selbst erklärte.

Wo lag das Problem? Wer das Sagen hat, steht vorn, war die Auffassung der Urteilenden. Danach hätte hierarchisch Heinz Kochs in den Vordergrund gehört. War es eigentlich richtig, dass man als städtischer Auftraggeber zu Lebzeiten selbst dargestellt wurde? Auch der trinkende Bauarbeiter, der (sich) keine Platte machte, und der Mann mit der Maske (Eulenspiegel?) gerieten nun ins nähere Blickfeld. Erst als der Parteichef selbst das Relief sah, und mit der Bemerkung „Und das ist alles?“ die Aufregung abtat, wurde die Platte montiert. Geblieben ist ein originelles Zeitdokument. Zeitlos dagegen der Wunsch des Künstlers Reinhard Dietrich „Man müsste mal Mäuschen sein bei solchen Besprechungen!“. Dargestellt durch die zwischen OB-Beinen sitzende kleine Maus.

Wo bleiben unsere Sagen und Legenden von heute? Schon wenige Jahre nach solch einem „aufregenden“ Ereignis, ist die Rekonstruktion schwierig. Da hilft nur – aufschreiben. Im Legenden-Archiv dieses Museums ist Platz dafür.

Text: Hartmut Schmied (1999) für das Legenden-Museum. Gedruckte Erstveröffentlichung (2008): Hartmut Schmied, Gebrannte Kinder dieser Stadt, Rubrik Wahre Legenden, in: Kulturkalender Mecklenburg-Vorpommern September 2008

Bild: Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Eulenspiegel besucht immer wieder gern Rostock. Keramikplatte von Bildhauer Reinhard Dietrich am Haus Ecke Breite Straße / Kröpeliner Straße, Foto: Hartmut Schmied