Tützpatz, Landkreis Mecklenburgische Seenplatte
Ein Regenwurm ist keine große Sache, ein Lindwurm schon. Dieser bis heute ungeklärte Kriminalfall führt uns ins Dorf Tützpatz. Dort steht ein schönes, aber verwinkeltes Schloss.
Wohl im Jahr 1860 hatte der Schlossherr Ärger mit seinem Kutscher. Und wie das so mit dem Ärgern ist, weiß man am Ende nicht, worüber man sich geärgert hat. Doch da hatten es schon alle im Schloss mitbekommen: Der Chef war sauer. So musste der Kutscher in den sauren Apfel beißen und wurde in den Schlosskeller gesperrt. Eine schwere Tür krachte ins Schloss. Abendliche Stille. Mit einmal hörte man fürchterliche Schreie. Dienerschaft, Gärtner und Koch setzten sich für den Kutscher ein und baten den Schlossherrn, ihn aus dem Keller zu befreien. Doch der Chef blieb hart.
Am nächsten Morgen wurde das Verlies geöffnet. Man fand nur abgenagte Knochen und Reste der Kutscherkleidung. Was war geschehen? Alles sprach für ein großes Tier. Nun warf der beauftragte Koch ein vergiftetes Kalb in den Keller. In der Nacht schlossen sich alle in ihren Zimmern ein. Man hörte unheimliche Geräusche von Knochenknacken und Schmatzen. Dann zersplit- terte tosend eine Tür und etwas Großes kroch an die frische Luft in den Garten.
Im Morgengrauen beäugten alle vorsichtig das Tier vor dem Schloss. Ein riesiger, toter Lindwurm war zu sehen. Schnell sprach sich das Ereignis in den Dörfern und nahen Städten herum. Der bekannte Fotograf Richard erschien und machte ein Foto für die Zeitung. Für das Bild brauchte er einen Helden, der das Tier erlegt hatte. Franz, der Sohn des Schmieds, meldete sich dafür. Auch der Schmied selbst haute öfter auf den Putz als auf seinen Amboss und protzte mit seiner Kraft. „Der Apfel fällt nicht weit vom Pferd!“, meinte der Gärtner. Später wurde der ausgestopfte Lindwurm auf dem Markt in Neubrandenburg zur Schau gestellt. Direkt danach ist er verschwunden.
Schon gewusst?
Der Fall aus dem Jahr 1860 ist ungeklärt, weil bislang jeder Beweis für die Existenz eines Lindwurmes in Tützpatz fehlt. Es gibt wohl Zeitungsberichte, auf die sich die alte Sage beruft. Jedoch fehlen Fotos oder getrocknete Teile des Lindwurmes. War es ein anderes Tier, das den Kutscher zum Fressen gernhatte? Vielleicht bekommt das ein forscher Forscher unter Euch heraus?
Text: Hartmut Schmied aus: Hartmut Schmied, Greife, Burgen, Wundereiche. Sagen aus Vorpommern für Kinder, Wismar 2024 und 2025
Bild: Ungeheuer in Tützpatz, Illustration von Steffen Jähde (www.illustration-steffen-jaehde.de) aus: Hartmut Schmied, Greife, Burgen, Wundereiche. Sagen aus Vorpommern für Kinder, Wismar 2024 und 2025