Greifswald, Landkreis Vorpommern-Greifswald

Schwertwale an unserer Ostseeküste sind etwas sehr Seltenes. Bilder davon in Kirchen erst recht. In der Marienkirche von Greifswald befindet sich in Originalgröße ein über sieben Meter langes Gemälde eines Orca-Männchens. Seine sehr hohe Rückenflosse nennt man Schwert.

Es wird erzählt, dass vor etwa 500 Jahren (im März 1545) zwei Wale im Greifswalder Bodden (einer Bucht) beim Kloster Eldena gestrandet sind. Sie sind wahrscheinlich Heringsschwärmen hinterhergeschwommen, um diese zu verspeisen. Und wenn das Essen gut schmeckt, kann man um sich herum alles vergessen. So landete der jagende Schwertwal-Bulle (das Männchen) mit hohem Tempo auf dem trockenen Strand. Das kleinere Weibchen (die Orca-Kuh) war etwas vorsichtiger und blieb im tieferen Wasser.

Mit einmal erkannten beide die gefährliche Lage. Im Wasser kann sich das große Säugetier bestens bewegen. Aber an Land geht gar nichts. Es bestand die Gefahr, dass der Bulle austrocknete, verhungerte und er durch das eigene Gewicht erdrückt würde. Die Orca-Kuh blies dem Bullen helfend Wasser zu. Sie schrie nächtelang um Hilfe. Die Strandbesucher hatten jedoch selbst Angst vor den großen Tieren. Schwertwale werden heute noch Mörder- oder Killerwale genannt, weil sie auch Robben und Delfine fressen. Deshalb haben die vorsichtigen Menschen ihnen nicht geholfen.

Fischer erlösten den Schwertwal-Bullen endlich von seinem Leiden und töteten ihn. Das war sehr traurig für die Orca-Kuh, die ins offene Meer zurückschwamm. Tagelang waren viele Schaulustige am Strand. Darunter auch ein Maler, der diesen noch unbekannten Meeresbewohner malte. Vielleicht war es dieser Künstler, der den großen Wal an die Wand der Marienkirche malte? Vor einigen Jahren fanden Restauratoren in der benachbarten Nikolaikirche ein übermaltes Bild, das einem Orca-Weibchen mit kleiner Rückenflosse ähnelte. Vor Jahrhunderten dürften die Menschen so gestaunt haben, dass sie gleich beide Tiere in ihren Kirchen haben wollten. Das muss aber noch erforscht werden.

Schon gewusst?

Die Nachricht von dem seltenen Meerestier erreichte auch den Naturforscher Conrad Gesner (1516—1565) in der Schweiz. Er beschrieb erstmalig den Schwertwal, den bis dahin kaum jemand kannte. Von dem Tier aus Greifswald ließ er auch einen Holzschnitt für sein Buch anfertigen. Der Schwertwal starb also für die Wissenschaft und wurde durch das Tierbuch berühmt. Er wurde an die Wand der Marienkirche mit brauner Farbe gemalt. Wahrscheinlich war der Orca schon gestorben, als der Maler ihn sah.

Bild: Orca-Sage Greifswald, Illustrationen von Steffen Jähde aus Hartmut Schmied, Greife, Burgen, Wundereiche. Sagen aus Vorpommern für Kinder, callidus.Verlag, Wismar 2024, 1. Auflage, Seite 20

Text: Hartmut Schmied aus Hartmut Schmied, Greife, Burgen, Wundereiche. Sagen aus Vorpommern für Kinder, callidus. Verlag, Wismar 2024, 1. Auflage, Seite 21

Die Orca-Sage für Erwachsene mit kulturgeschichtlichen Informationen finden Sie hier.